Die Zeitschrift SCHIENE hatte 1995 Dr. Thilo Sarrazin zu Wort kommen lassen. Über ih war schon mehrfach berichtet worden, weil er auch als SPD- Mitglied unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) im Bundesfinanzministerium für die Gelder an die Bundesbahn oder ab 1995 Deutsche Bahn AG zuständig war. Auf die Ausführungen Thilo Sarrazin habe ich folgende Antwort geschrieben:
Das Anliegen von Dr. Thilo Sarrazin kann man nur begrüßen. Deutschland ist auf allen Ebenen ein verschuldetes Land. Soziale Probleme und die „Dritte Welt“ warten auf Geld. In dem Wettbewerb um die knappen Gelder steht der Schienenverkehr. Aber die Ausführungen von Sarrazin lassen einiges unklar. Eine Literaturliste und einige Quellenhinweise für seine Angaben wären hilfreich.
Wenn die Symposien zum Thema ÖPNV mit steigenden Defiziten und Bedeutungsverlusten Hand in Hand gingen, so ist das doch eine Folge der Politik. Die regierenden Politiker (damals in Bonn CDU/CSU und FDP) fehlen doch meistens auf diesen Veranstaltungen, wenn Verkehrsinitiativen bessere Verkehrskonzepte vorstellen. Und statt einen öffentlichen Verkehr für alle auszubauen, wurde punktuell in U-Bahnen und ICE-Strecken investiert, während der restliche Nahverkehr weitgehend unbeachtet blieb. Die Triebwagen der Reihe 628 wurden 1974 zur Serienreife entwickelt. Aber gekauft werden durften die Fahrzeuge lange Zeit nicht. Wenn Sarrazin von einem typischen Nahverkehrszug spricht, ist zu fragen, was für einen Zug er meint?: Eines der letzten „Ferkeltaxen“, eine V 100 mit 2 bis 4 Wagen, einen 628, den Regiosprinter der Dürener Kreisbahn oder den neuen Doppelstocktriebwagen. Die Nahverkehrstechnik kommt doch erst durch die erwartete Bahnrainessance wieder in Schwung. Jahrzehnte ist hier kaum etwas geschehen, weil es keinen Markt gab. Und so werden auch die Kosten deutlich sinken.
Wenn Sarrazin beklagt, dass die Bahn keine transparente Kostenrechnung hat, möchte ich wissen, woher er die Daten für die SPNV- Defizite am Anfang seines Aufsatzes nimmt. 1982 gab es bei der Bundesregierung (SPD und FDP) ein Konzept, bei dem durch die Stilllegung von 7.000 km Eisenbahn (30% des Netzes) sage und schreibe 3% des Zuschussbedarfes der Bahn eingespart werden sollten. Wenn Herr Sarrazin meint, mit 15 Pfennig Defizit pro Personenkilometer wäre besser, als eine Nebenbahn mit 45 Pfennigen/Pkm, so muss gefragt werden, wo dies bei einer modernen Zweigstrecke vorkommt. Ein S- Bahn- Betrieb ist viel aufwendiger, als etwa der Betrieb der Dürener Kreisbahn. Dadurch werden viele S- bahnen weit unwirtschaftlicher bleiben, als eine moderne Regionalbahn.
Herr Sarrazin sollte weniger Allgemeinplätze benutzen und mit nachprüfbaren Zahlen arbeiten. Dass der Nahverkehr nicht der große Defizitbringer sein kann, zeigt doch schon die geringe Ersparnis einer Stilllegung von 7000 km Eisenbahn.
Auch die relative Bedeutung des öffentlichen Verkehrs ist eine fragwürdige Größe. Denn überflüssige Autofahrten mindern den Anteil der Bahn an den Verkehrsleistungen. Radfahrer und Fußgänger sind wahrscheinlich gar nicht in diese Leistung eingerechnet worden. Und wenn die Politik die Nutzung des Autos durch Steuererstattungen und den Straßenbau enorm fördert, ist eine Verkehrszunahme bei den Kraftwagen vorprogrammiert. Gemessen an den Realeinkommen ist das Benzin heute (1995) so preiswert, wie in den 50er Jahren. wenn ein Drittel der Autofahrten durch Fußgänger und Radfahrer und je 10% druch Bus und Bahn ersetzt würden, käme ohne Fußgänger und Radfahrer der öffentliche Verkehr auf 40%. Die Bahn mit Fußgängern und Radfahrern zusammen brächte das Auto in die Minderheit.
Die Behauptung Sarrazins, dass die Bahn den Nahverkehr zu teuer anbietet, ist für den Bahnfreund nichts Schlechtes. Das bedeutet doch, dass mit dem gleichen Geld ein besserer Schienenverkehr möglich ist. Die Bahn muss also Wettbewerber bekommen. Wenn die Länder ein Programm zur Förderung der NE- Bahnen auflegen, damit diese sich bei den Bestellern um Nahverkehrsleistungen bewerben können, dürften die Betriebskosten der Deutschen Bahn bald sinken. Die Länder würden auf die Dauer mehr sparen, als diese für so ein Programm ausgeben müssten. Dann wären alleine die Trassenpreise noch als Instrument der Kostenverschiebung vorhanden. In den östlichen Bundesländern könnten im Grenzgebiet die Polen und Tschechen mit preiswerten Zügen über die Grenze fahren. 7,9 Mrd. DM sind bei einem Schienenetz von 40.000 Kilometern 195.000 DM pro Kilometer. Für die 45 Kilometer Dürener Kreisbahn Heimbach – Düren – Jülich wären das theoretisch 8.970.000 DM. Real hat die DKB ein Defizit von 1,1 Mio. DM oder 24.444 DM pro Streckenkilometer. Wenn eine Überteuerung des Nahverkehrs bei der Bahn vorhanden ist und abgebaut werden kann, fehlt das Geld aber künftig in den Bereichen, wohin das Geld verschoben wurde. So werden diese Bereiche faktisch durch den Nahverkehr subventioniert. was würde das für Folgen haben?
Nicht vergessen werden darf die politische Gesamtschau. Die Bahn braucht in nächster Zeit viel Geld. Dies muss in Investitionen gesteckt werden, damit die Schiene preiswerter und wettbewerbsfähiger wird. Durch eine Steuerreform müssen Energien belastet und die Arbeit entlastet werden. So wird das Benzin teurer und der Schaffner preiswerter. Externe Kosten müssen dem Energieverbrauch angerechnet werden. Da die Bahn in den vergangenen Jahren vernachlässigt wurde, müssen für einen Übergangszeitraum auch Subventionen für die überhöhten Kosten der veralteten Infrastruktur gezahlt werden. Diese Geldzahlungen müssen jedoch in absehbarer Zeit mit der fortschreitenden Bahnmodernisierung reduziert werden. Es ist natürlich den Menschen freigestellt, durch politische Entscheidungen im Rahmen der Haushalte die Bahn dauerhaft zu fördern, um einen gewünschten Effekt zu erreichen. Der Straßenverkehr muss zurück gedrängt werden und das Flugbenzin muss endlich besteuert werden. Die Steuerbefreiung des Flugbenzins hat Sarrazin bei seinem Kostenvergleich vergessen.
Volkswirtschaftlich gesehen ist die Bahn nicht teuer. Wenn Herr Sarrazin schreibt, dass der SPNV Kosten von 40 Pfennig je Personenkilometer verursacht, ist das im Vergleich zum Auto wenig. Mit 1,2 bis 1,4 Personen je PKW und Kilometergesamtkosten von mindestens 50 Pfennigen, ist das Auto im Durchschnitt teurer als die Bahn oder das steuerfreie Flugzeug. Das Problem ist, dass beim Auto ein Großteil der Kosten mit dem bloßen Besitz eines zugelassenen PKW verbunden ist, so dass für den Autofahrer nur die Grenzkosten für die gefahrenen Kilometer eine Rolle spielen.
Die Dürener Kreisbahn zeigt, wie der Verkehr in der Fläche durchgeführt werden kann. Bei 1000 Fahrgästen täglich auf der 45 km langen Strecke und einem Defizit von 1,12 Mio. DM beträgt das Defizit pro Tag 3013 DM. Auf 45.000 Personenkilometer umgerechnet ergibt das ein Defizit von 0,067 DM pro Personenkilometer. da die DKB aber schon deutlich über 1000 Fahrgäste pro tagt befördert, sind die Verluste pro Personenkilometer noch geringer. Das muss man zu den Zahlen von Sarrazin in Beziehung setzen: 0,30DM beim SPNV, 0,55 DM beim SPNV in Hessen und 0,15 bei den S- Bahnen. Es bleibt zu hoffen, dass neue Technik und neue Fahrzeuge und Fahrgastzuwächse das Ergebnis der DKB weiter verbessern.
man darf aber nicht gklauben, dass mit einem Regionalbahndefizit von 45 Pfennigen/ Personenkilometer ein dreifacher S- bahnverkehr mit 15 Pf./Pkm möglich ist. Denn ein schlecht besetzter Regionalbahnzug oder ein gut bestzeter kleiner Triebwagen haben weniger Fahrgäste, als ein vergleichbarer S-Bahn-Zug.
Zum Schluss möchte ich noch eine Behauptung aufstellen. Die Bahn und andere Verkehrsbetriebe müssen ein flächendeckendes Carsharing– System aufbauen. Nur wenn den Menschen jederzeit ein Auto zur Vefügung steht, besteht die Chance, dass immer mehr Leute auf ein eigenes Auto verzichten. Ich habe kein Auto und brauche so ein Angebot nicht. Aber damit gehöre ich zu einer Minderheit, die alleine die Bahn nicht wirtschaftlich macht. Nur wenn die Bahn Autos anbietet, die man als Bahncardinhaber oder als Besitzer einer gültigen Fahrkarte zu den vollen Kilometerkosten jederzeit buchen kann, wird die Bahn günstiger als das Auto. Wenn das Auto nicht mehr in der eigenen Garage steht, werden Radfahrten und Fußwege wieder zunehmen. Wann immer es sinnvoll wäre, würde der ÖPNV vor dem Auto bevorzugt. Und natürlich muss es auch ein Fahrradsharing geben.